Ganz ohne Tinte
Vom Schreibwarenhersteller zum Uhrenmacher: Montblanc wagte den Schritt vor 20 Jahren und behauptet sich bis heute erfolgreich im Geschäft mit luxuriösen Zeitmessern.
Als Norbert Platt 1997 in Genf die erste Uhr des Herstellers für luxuriöse Schreibwaren Montblanc der Presse vorstellte, musste er sich ein wenig auf dem Arm nehmen lassen. „Und wo füllt man die Tinte ein?“, witzelte ein Journalist über das uhrmacherische Debüt. Von Füllfederhaltern zu Zeitmessern: Dieser Schritt erschien vielen als gewagt. Aber neben Verwunderung empfand man auch Bewunderung für das Hamburger Unternehmen, das sich in diesen komplexen und bereits gut bedienten Luxusmarkt traute.
Platt, damals CEO der Marke, reagierte gelassen auf den frechen Kommentar. Er wusste ja, auf was er zählen konnte: Ein Unternehmen, das geübt war in der Her- stellung von Luxusprodukten, das bereits seit 1924 viel Arbeit, Sorgfalt und Zeit in seine edlen Füllfederhalter und Kugelschreiber investierte und das ebenso hohe Ansprüche an seine Uhren stellen würde. Und mit dem Eigentümer Richemont hatte er einen Konzern im Rücken, der mit einem Markenportfolio aus Piaget, Cartier oder Vacheron Constantin bereits ausreichend Uhren-Kompetenz in sich versammelte.


Doch eigentlich strebte Montblanc nach möglichst viel Eigenständigkeit und Selbstbestimmung – man wollte nicht einfach seinen Namen auf ein Produkt stempeln, das von Außenstehenden entwickelt und angefertigt worden war. Das erste Modell zitierte daher auch Montblancs wohl berühmtesten Erfolg:
Den „Meisterstück“-Füllfederhalter. Wie sein schreibendes Gegenstück war die „Meisterstück“-Uhr in glänzendem Schwarz gehalten, das goldene Gehäuse, die Zeiger und Ziffern erinnerten an die Feder und die Klammer des Schreibgerätes, und die markanten, dekorativen Ziffern waren von der Art-Déco-Ästhetik der 20er Jahre inspiriert, als das „Meisterstück“ erstmals auf den Markt kam. Jede Uhr wurde mit einer Seriennummer versehen – ein geschickter Schachzug, der das Stück für den Kunden einzigartiger und individueller machte.

20 Jahre später muss der aktuelle CEO von Montblanc, Jérôme Lambert, niemanden mehr von der Uhrenexpertise seines Unternehmens überzeugen. Die Marke führt zwei eigene Manufakturen, seit 2009 hat sich das Geschäft mit den Zeitmessern verdoppelt. 1997 eröffnete ein Standort im schweizerischen Le Locle, dessen Tradition des Uhrmacherhandwerks bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. In Le Locle entwickelte man Kollektionen, die in der Uhrenwelt inzwischen ebenso als Klassiker gewertet werden wie der „Meisterstück“-Füller. Als Richemont 2006 den 159-jahre alten Uhrwerk-Hersteller Minerva in Villeret aufkaufte, ermöglichte dies dem Unternehmen seine Produktion auf Uhrwerke und andere komplizierte Teile auszuweiten.
Montblanc kontrolliert jeden Produktionsschritt und kann in Villeret auf traditionelle Verfahrenstechniken zurückgreifen, bei denen die meisten Schritte immer noch per Hand ausgeführt werden. So entstehen besonders komplizierte und meist limitierte Modelle in Villeret. Die ehemals Minerva genannte Manufaktur inspiriert bis heute neue Linien wie die Modelle der „Time Walker“-Kollektion. Montblanc behält die Zukunft im Auge und schafft dabei immer eine Brücke zu seiner Geschichte. Das beweist sogar die erste Smartwatch des Unternehmens, die in diesem Frühling eingeführt wurde. Sie heißt Summit. Und den Gipfel, den trägt Montblanc schon immer im Namen.